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In der Freizeit - Zeitzeugen-Bericht von Kurt Motlik

VORKRIEGSZEIT (ZWISCHENKRIEGSZEIT)Bild von Kurt Motlik

In der Freizeit

Da die Wohnungen zu dieser Zeit sehr klein waren, verbrachten viele Kinder ihre Freizeit auf der Straße oder auf wild überwucherten Grünflächen. (Auf den meisten dieser Flächen wurden im Laufe der Zeit Sozialwohnungen der Gemeinde Wien errichtet.)

Die schöne Jahreszeit verbrachte man mit anderen Kindern durch Ballspielen, Schnurspringen, Fangenspielen, Diabolo oder man spielte mit kleinen, farbigen Tonkugeln, die man auf den Gehsteig in vorhandene Löcher zielen musste. Manchmal wurden auf diesen freien Flächen kurzzeitig Ringelspiele aufgestellt, die aber oft keinen Motorantrieb hatten und daher durch Schieben in Drehungen versetzt werden mussten. Kinder, die beim Schieben halfen, durften dafür anschließend kostenlos mitfahren. Ein beliebtes Spiel der Mädchen war das „Tempelhüpfen“, wo man am Gehsteig mit Kreide vorgezeichnete Felder durch Hüpfen fehlerfrei erreichen musste. Manchmal hatten Kinder Glück und bekamen von Erwachsenen gebrauchte Holzbretter oder Holzkisten. Darauf montierten sie alte Räder und bastelten damit einen Roller oder eine „Seifenkiste“. Für die Buben stand natürlich Fußballspiel an erster Stelle und fand in der Regel auf verkehrsarmen Nebenstraßen statt. Da richtige Fußbälle zu teuer waren, formten sie sich ein „Fetzenlaberl“ zu einem Fußball. Es bestand aus einer mit Fetzen (alte Stoffabfälle) voll gestopften Hülle (alter Strumpf oder Handschuh). Trotz dieser ersten, primitiven Trainingsmöglichkeiten entstand im Jahre 1931 eine österreichische Nationalmannschaft, die weltweit als „Wunderteam“ bezeichnet wurde, denn im Verlauf von 2 Jahren hatte es in ununterbrochener Folge 15 internationale Länderspiele gewonnen. Es gab in Österreich damals auch schon Fußballstars, die aber alle, im Gegensatz zu heute, ohne Bezahlung ihre großartigen Leistungen vollbrachten.

Im Sommer befanden sich an mehreren Stellen unserer Stadt öffentliche Kinder-Freibäder, die von schulpflichtigen Kindern kostenlos benützt werden konnten. Im Winter wurde auf den meisten dieser Plätze Wasser aufgesprüht, sodass bei Temperaturen unter 0° C eine Eislauffläche entstand. Natürlich gab es auch Eislaufplätze, wo die Benützer Eintritt bezahlen mussten. Es gab in Wien aber auch 2 Kunsteisbahnen, deren Benützung aber sehr teuer war und daher von den meisten Menschen nicht in Anspruch genommen wurden. Die meisten Kinder besaßen jedoch keine richtigen Eislaufschuhe, sondern Eiskufen aus Stahl, die man auf den Sohlen normaler Straßenschuhe mit Schrauben anklemmen musste, um Eislaufen zu können. Deshalb nannte man sie auch „Schraubendampfer“. Bei starkem Schneefall wurden durch meist pferdebespannte Schneepflüge auf beiden Straßenseiten teilweise hohe Schneehügel angehäuft, die auf Nebenstraßen sogar zum Rodeln benützt wurden.

Bei schönem Wetter machten viele Eltern an den Wochenenden mit ihren Kindern Ausflüge in die nähere Umgebung wie zum Beispiel nach Schönbrunn, am Kahlenberg oder zum Baden an die Donau. Die Verpflegung wurde von zu Hause mitgenommen. Meistens unternahm man diese Ausflüge zu Fuß, um sich das Fahrgeld für die Straßenbahn zu ersparen.

Kino- oder Theaterbesuche gab es nur ganz selten. Lediglich Kinder durften zu besonderen Anlässen oder wenn sie sehr brav waren hin und wieder ein Kasperltheater, einen Zirkus oder eine Kindervorstellung im Kino besuchen. Mitunter leistete man sich ein Mal im Jahr einen Praterbesuch.
Die Mütter selbst gönnten sich nur wenig Freizeit, da sie viele, schwere Arbeiten im Haushalt verrichten mussten, denn damals gab es kaum elektrische Haushaltsgeräte und selbst die konnte man sich nicht leisten. Elektrische Bügeleisen, Staubsauger, Waschmaschinen u.ä. waren überhaupt Fremdwörter. Daher mussten die anfallenden Arbeiten mit bloßen Händen verrichtet werden. Soferne überhaupt noch Zeit übrig blieb, verbrachten sie diese mit Stricken, Häckeln oder Wäsche flicken, weil dies noch immer wesentlich billiger kam, als neue Sachen zu kaufen. Die häufigste Abwechslung in ihrem trostlosen Alltag bestand darin, bei der einzigen Wasserleitung am Flur des Wohnhauses oder beim Einkaufen mit anderen Frauen über Neuigkeiten zu sprechen oder Sorgen auszutauschen. Die Väter hingegen gingen in die Arbeit, soferne sie überhaupt eine hatten und nicht, wie viele andere Männer, arbeitslos waren. Frauen waren in der damaligen Arbeitswelt nur selten anzutreffen. Trotz sehr geringem Lohn betrug die tägliche Arbeitszeit 10 Stunden oder mehr. Da zu dieser Zeit auch an Samstagen bis mittags gearbeitet wurde, blieb den Männern nur wenig Freizeit. Trotzdem waren sie sehr froh, überhaupt eine bezahlte Arbeit zu haben, um die Familie wenigstens ernähren zu können.

Die Freizeitgestaltung der meisten Männer war ebenfalls sehr bescheiden. Manche besuchten am Wochenende ein Fußballspiel, wo sie für wenig Geld 2 Stunden lang ihre Sorgen vergessen konnten. Andere wieder schlossen sich zu regelmäßigen Kartenspielrunden zusammen und verbrachten so ihre Freizeit oder widmeten sich ihrer Familie. Für manche Männer aber waren die vielen Gasthäuser, die es fast an jeder Straßenecke gab, ein beliebter Aufenthaltsort. Dort konnten sie mit anderen über ihre Sorgen sprechen. Bei einigen führten diese Aufenthalte aber auch dazu, ihren Kummer im Alkohol zu ertränken.

Obwohl es damals schon kurze, aber meist unbezahlte Urlaube gab, verbrachten ihn die meisten Familien zu Hause. Lediglich jene Familien, die mit ihrem wenigen Geld das ganze Jahr sparsam umgingen, um sich die Fahrkosten für einen Landaufenthalt leisten zu können, fuhren im Sommer zu Bauern aufs Land. Dort konnte man für wenig Geld wohnen und auch die meisten Lebensmittel viel billiger, als in der Stadt, erwerben. Zubereitet wurden die Mahlzeiten von den Müttern selbst am großen Küchenherd des Bauernhofs.

Zeitungen gab es natürlich auch schon, aber die Auswahl war sehr gering. Außerdem konnten sich die meisten Menschen nur am Sonntag eine Zeitung leisten und das häufig nur gemeinsam mit anderen Familien. Dadurch erfuhren die Menschen wenigstens etwas von der großen, weiten Welt. Da das Fotografieren damals noch in den Kinderschuhen steckte, waren die meisten Bilder in den Zeitungen nur gezeichnet.

Rundfunkgeräte mit Lautsprecher gab es zwar auch schon, aber sie waren für die meisten Menschen unerschwinglich. Sie kosteten nämlich das 2-3-fache eines normalen Monatslohnes. „Fernsehen“ war damals überhaupt noch ein unbekanntes Fremdwort. Aus finanziellen Gründen leisteten sich manche Familien ein sogenanntes Detektorradio. Dieses konnte nur mit Kopfhörern benützt werden und hatte überdies eine sehr schlechte Tonqualität.

Mit heutigen Maßstäben gemessen, war die Vorkriegszeit extrem trostlos.

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